Der EuGH ist unter Juristen gefürchtet für seine aus gefühlter Billigkeit entstehenden Entscheidungen, bei denen er sich nicht um rechtliche Dogmatik kümmert. Das hat der EuGH nunmehr mal wieder bestätigt, indem er ein Recht auf Vergessen bei Suchmaschinen einführte. Die Folge wird vermutlich sein, dass Suchmaschinen von Löschungsanträgen überschüttet werden, so dass diese kaum mehr im Einzelfall prüfen können, ob dies gerechtfertigt ist. Die Folge ist eine durch Privatpersonen mögliche Zensur mit Mitteln des Datenschutzrechts. Das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Pressefreiheit wird nunmehr zu Gunsten des Datenschutzrechts verschoben – was zumindest in Deutschland die bestehenden verfassungsrechtlichen Probleme vertieft: Seit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgericht ist eigentlich klar: Einfache Gesetze wie das Datenschutzrecht dürfen die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Dem leistet der EuGH nun jedoch Vorschub.
Entschieden wurde der Fall anhand einer spanischen Aufforderung der dortigen Datenschutzbehörde an Google, Namen und Bericht über eine Hauspfändung eines Zahnarztes aus dem Jahre 1998 zu löschen. Google klagte, der Fall ging zum EuGH und Google verlor nun. Der Witz daran ist, dass der Sachverhalt der Pfändung, den der Zahnarzt nicht im Netz lesen wollte, jetzt mit seinem vollen Namen für immer in die Annalen der Rechtsgeschichte eingehen wird, da der EuGH immer die vollen Namen der Parteien nennt – selbst in der Pressemeldung.
Der EuGH entschied, dass es ein Recht auf Vergessen bei Suchmaschinen gebe. In Einzelfällen könne die Abwägung des Informationsinteresses des Einzelnen das Interesse von Google, Informationen und Links bereitzustellen, überwiegen. Suchmaschinen seien nach Aufforderung zur Löschung der Daten verpflichtet. Der EuGH ist der Ansicht, dass das Crawling, Zusammenstellen und Aufbereiten der Daten über die Suche eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch die Suchmaschine darstelle. Damit sei die Suchmaschine verantwortliche Stelle für alle dort veröffentlichten Informationen – dies geböten „die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten [, die] durch sie erheblich beeinträchtigt werden können“ – eine klar undogmatische Argumentation. Denn die Suchmaschinen ermöglichten die Profilbildung und das Verschaffen eines strukturierten Bildes über eine Person.
Umfang der Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers zum Recht auf Vergessen:
- Dieser sei unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, von der Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des Namens einer Person durchgeführte Suche angezeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen über diese Person zu entfernen.
- Eine solche Verpflichtung könne auch bestehen, wenn der betreffende Name oder die betreffenden Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung dort als solche rechtmäßig ist.
- Die in der Ergebnisliste enthaltenen Informationen und Links müssten gelöscht werden, wenn auf Antrag der betroffenen Person festgestellt wird, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Einbeziehung der Links in die Ergebnisliste nicht mit der Richtlinie vereinbar ist.
Besonders das zweite Element ist krass: Selbst wenn die Veröffentlichung auf der gelisteten Seite zulässig sei (z.B. bei einem Presseartikel nach nationalem Recht die Information zulässig ist), könne die Suchmaschine zum „Recht auf Vergessen“ verpflichtet werden. Der EuGH übersieht dabei, dass die Suchmaschine dabei nur wahre Tatsachen verbreitet: Die Information, dass auf der Seite X der Text Y zu lesen ist. Dies ist Ausfluss der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Zudem ist dies Teil des öffentlichen Lebens: Wer sich als Mensch in der Öffentlichkeit bewegt, findet sich dort auch wieder, es ist weltfremd und eine Forme der privaten Zensur, wenn ein Mensch das Bild von sich in der Öffentlichkeit selbst lenken können soll.
Mit dem letzten Punkt wird immerhin ein Korrektiv geschaffen, das eine Einzelfallabwägung zur Folge haben soll. Also nur wenn z.B. wegen Zeitablauf kein öffentliches Interesse an der Information mehr besteht. Es überzeugt jedoch nicht, diese Pflicht der Suchmaschine aufzuerlegen. Zuständig dafür sind die Seiten im Netz, die die Informationen online haben. An diese muss sich der Betroffene wenden. Zudem ist m.E. der Anknüpfungsunkt falsch gewählt: Das „Recht auf Vergessen“ kann sich gerade nicht aus der Datenschutzrichtlinie ergeben, sondern ergibt sich aus dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht. Es ist nicht Aufgabe des Datenschutzes, die Veröffentlichung von richtigen Tatsachen allgemein zu unterbinden. Zudem ist völlig unklar, wie eine breit aufgestellte Suchmaschine wie Google bei allen Löschanfragen eine Einzelfallprüfung durchführen sollte.
Detail am Rande: Einführung eines Konzernmalus
In einem Handstreich führt der EuGH gleich noch einen „Konzernmalus“ ein. Folge seiner Begründung ist, dass in Deutschland nun deutsches Datenschutzrecht auf Facebook und andere internationale Konzerne Anwendung findet. Das Urteil des OVG Schleswig (Beschlüsse vom 22. April 2013, Az. 4 MB 10/13 und 11/13), das Irland als Sitz der europäischen Datenverarbeitung von Facebook für zuständig erklärt hatte, ist nun hinfällig. Denn der EuGH behauptet, das Datenschutzrecht des Landes sei bereits deshalb anwendbar, weil Google eine Niederlassung in Spanien zum Anzeigenvertrieb (ohne eigene Datenverarbeitung!) betreibe. Daraus ergebe sich über ihre Eigenschaft als Tochter des US-Mutterkonzerns die Verantwortlichkeit für die Datenverarbeitung in Spanien. Diese Begründung verstößt völlig offensichtlich gegen die Datenschutzrichtlinie. Hier wird eine reine „Unbilligkeitsentscheidung“ vorgenommen und die Systematik der Datenschutzrichtlinie so gebogen, dass sie gewaltig birst. Denn die Richtlinie sieht gerade einen rein juristischen Begriff der verantwortlichen Stelle vor: Es ist auch im Konzern für jede juristische Gesellschaft getrennt zu beurteilen, welche Datenverarbeitung stattfindet. Der EuGH nimmt hier contra legem eine Vermischung der Zuständigkeiten an. Folge ist, dass nun relativ willkürlich die Anwendung von dem Datenschutzrecht angenommen werden kann, das die Aufsichtsbehörde haben möchte. Für Konzerne ergibt sich nun eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
Weiterführende Links:
- Pressemitteilung des EuGH zum Recht auf Vergessen.
- Urteil des EuGH zum Recht auf Vergessen im Volltext.
- Lesenswerte Analyse von Carlo Piltz im Blog de lege data.
- Vortrag von RA Thorsten Feldmann zu Datenschutz vs. Meinungsfreiheit.
Autor: RA Lachenmann
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[…] Recht auf Vergessen bei Suchmaschinen: EuGH-Urteil billigt Zensur durch Datenschutzrecht von RAin Viola Lachenmann […]
[…] auf Vergessen“ hat natürlich hohe Wellen geschlagen. Während die einen das Urteil als „Sieg für den Datenschutz“ feiern, geißeln andere ihn als die „Zensur durch Datenschutzrecht“. Haben die Oberrichter […]
[…] Vergessen“ hat natürlich hohe Wellen geschlagen. Während die einen das Urteil als „Sieg für den Datenschutz“ feiern, geißeln andere ihn als die „Zensur durch Datenschutzrecht“. Haben die […]
[…] Dies entschied der EuGH kürzlich in seinem Urteil zum “Recht auf Vergessenwerden” (Meine Besprechung hier). Wenn Sie eine solche Löschverpflichtung gegen Google durchsetzen wollen, weil Google auf […]