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Fiktive Einkünfte bei der Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigem Kind – wann erfolgt eine Anrechnung?

Gegenüber einem minderjährigen Kind ist der Unterhaltspflichtige verschärft unterhaltspflichtig, d. h. es wird neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zusätzlich eine Nebentätigkeit verlangt (gem. § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB). Bei der Verletzung dieser Erwerbsobliegenheit führt dies zur Anrechnung sog. fiktiver Einkünfte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 18. 06. 2012 (1 BvR 2867/11, 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 774/10) in 3 Entscheidungen sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und zugunsten der Unterhaltspflichtigen entschieden.

„Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktive Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Tätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte“ (so 1 BvR 1530/11).

Die Richter haben zunächst klargestellt, dass der Unterhaltspflichtige für mögliche Einschränkungen seiner Erwerbsobliegenheit darlegungs- und beweispflichtig ist, d. h. er hat ausreichende Bemühungen um eine Arbeitsstelle darzulegen und nachzuweisen – der Hinweis auf eine Erwerbsminderungsrente ist nicht ausreichend.

Vor einer Anrechnung fiktiver Einkünfte hat das Gericht danach zu prüfen, was der Unterhaltspflichtige mit seiner Ausbildung und Berufsentwicklung verdienen kann. Das Gericht kann dabei auf das Internet, Mindestlöhne oder Informationen bei Berufskammern zurückgreifen. Hinzu kommen die Beurteilung einer realen Beschäftigungschance nach den persönlich-individuellen Verhältnissen.

„Ohne konkrete Prüfung dieser Faktoren dürfen die Familiengerichte nicht von den fehlenden Bemühungen des Pflichtigen um eine Erwerbstätigkeit auf seine Leistungsfähigkeit in Höhe des titulierten Unterhalts ausgehen.“

Das Gericht sah es als entscheidend an, dass der Anwalt des Unterhaltspflichtigen das Gericht überhaupt in die Lage versetzt, den Sachvortrag bezüglich der (fiktiven) Einkünfte zu überprüfen. Der Anwalt wiederum ist darauf angewiesen, dass sein Mandant ihm die nötigen Informationen übermittelt. Im Fall des „hartnäckig schweigenden Unterhaltspflichtigen“, der auf Auskunftsverlangen nicht reagiert und weder seinen Anwalt noch das Gericht in die Lage versetzt, die geforderten konkreten Feststellungen zu treffen, ist dem Gericht gestattet, auf Antrag des Berechtigten, den Mindestunterhalt, festzusetzen, gestützt auf fiktive Einkünfte des Pflichtigen, also dessen hypothetische Leistungsfähigkeit.

Mein Tipp zur Vermeidung der Anrechnung fiktiver Einkünfte:

Um zu vermeiden, dass das Gericht fiktive Einkünfte ansetzt, ist allen Unterhaltspflichtigen zu raten, bereits vorgerichtlich die vom BVerfG geforderten Feststellungen zu beantworten, nämlich:

  • Vorhandene bzw. fehlende berufliche Qualifikationen,
  • Ev. körperliche Behinderungen,
  • persönliche Fähigkeiten nach Ausbildungsstand und
  • individuelle Einschränkungen der beruflichen Einsatzmöglichkeiten.
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