Das in der EU-Datenschutz-Grundverordnung geplante „Recht auf Vergessenwerden“ sorgt für viele Diskussionen und wird (zu Recht) heftig kritisiert. Der EuGH wird demnächst zur bisherigen Rechtslage unter der EU-Datenschutz-Richtlinie entscheiden, ob es das Recht auf Vergessenwerden bereits jetzt gibt. Laut den Schlussanträgen des Generalanwalts (vom 25.6.2013) soll es ein solches nicht geben – dem ist zuzustimmen.
Leidtragender ist ein spanischer Bürger, der im Jahre 1998 Pleite ging, wie damals in der Zeitung zu lesen war. Diese Berichte lassen sich noch immer bei Google finden, weshalb der Bürger die spanische Datenschutzaufsichtsbehörde einschaltete. Diese untersagten Google die Weiterverbreitung, Google klagte vor dem nationalen Gericht, dieses legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Der Generalanwalt (GA) ist ein Teil des EuGH und legt vor dem Urteil den Richtern seine Beurteilung der Rechtslage vor. Die Richter sind jedoch frei in der Entscheidung, so dass die Anträge des Generalanwalts nicht mehr als ein Hinweis sind, in welche Richtung die Entscheidung gehen kann. Diese Richtung gibt der GA hier eindeutig vor: Ein „Recht auf Vergessenwerden“ gibt es nicht – zumindest nicht für Presseorgane und Suchmaschinenbetreiber.
Allerdings macht der GA es sich mit seiner Begründung etwas einfach. Laut dessen Ansicht sei ein Suchmaschinenbetreiber (hier Google) kein „Verantwortlicher“ gem. Art. 2 lit. D der Richtlinie. Er soll daher wie ein „Vermittler“, also Hostprovider (also nicht als für die Inhalte verantwortlicher Content-Provider) behandelt werden, dem deutliche Privilegien und Haftungserleichterungen zukommen. Denn die Suchmaschine würde nur neutral verschiedene Berichte aufarbeiten und keine eigenständigen Inhalte schaffen (Rn. 120, 33).
Dies halte ich nicht für überzeugend, da auch Google eine Wertung trifft anhand eines selbstprogrammierten Logarithmus, und so aktiv die Adressen nach ihrer Relevanz bewertet. Den Interessen von Google wäre sinnvoller auf andere Weise Rechnung zu tragen gewesen: Die hohe Bedeutung der Suchmaschinen für die Informationsbeschaffung und somit die Bildung und Ausübung der Meinungsfreiheit ist eindeutig. Daher würde es Sinn machen, die Privilegierung über die Anwendung des Medienprivilegs herzustellen (Art. 9 DSRL bzw. § 41 f. BDSG). Auch wenn Google keine gedruckte Zeitung bietet, ist der Medienbegriff dynamisch und dem Wandel der Zeit unterworfen. Auch Google hat die Aufgabe, eine umfassende Information zu bieten und dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich selbst Meinungen zu bilden.
Das Ergebnis bleibt unabhängig von der Begründung gleich: Es gibt (derzeit) kein „Recht auf Vergessenwerden“. Die in der Richtlinie vorhandenen Löschungsansprüche haben keinen unbedingten Vorrang vor anderen Rechtsgütern. Das Recht auf Privatleben und Schutz seiner Daten muss hinter dem Interesse an einer freien Kommunikation und Meinungsbildung zurücktreten. Der Einzelne hat zwar das Recht, sich selbst nach eigenem Interessen darzustellen – aber es besteht kein Recht auf Manipulation der Fremddarstellung nach eigenem Interesse.
Diese grundsätzlichen Erwägungen führen dazu, dass die geplante Einführung dieses Rechts auf Vergessenwerden in der Datenschutzgrundverordnung abzulehnen ist. Der Presse- und Meinungsfreiheit gebührt Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht bereits im Lüth-Urteil fest, was durch die geplante Grundverordnung zu einer Beeinträchtigung der Grundrechte führen würde.
Abschließend der Hinweis auf eine kuriose Begründung des GA: Er ist der Ansicht, dass der amerikanische Mutterkonzern und die spanische Tochter von Google gemeinsam „haften“ würden. Obwohl die Datenverarbeitung vorliegend in den USA stattfindet, ist laut dem GA die spanische Tochter als relevante Niederlassung zu werten. Denn zum Zeitpunkt der Entwicklung der Richtlinie die Dimensionen des Internets und global agierender Großkonzerne nicht zu erkennen gewesen sei.
Dies ist jedoch abzulehnen. Die Rechtslage ist ziemlich eindeutig: Es gibt ebenso kein Konzernmalus, wie es kein Konzernprivileg gibt. Die Konzernierung ist schlichtweg zu ignorieren. Eine Konzernhaftung, wie der GA sie begründen möchte, gibt es nicht. Wenn also eine spanische Firma nur Anzeigen verkauft und keine Daten verarbeitet, dann ist diese nicht datenschutzrechtlich verantwortlich. Dies stellte das OVG Schleswig kürzlich zu Recht zu Facebook fest. Die Begründung des GA ist offensichtlich rein ergebnisorientiert und contra legem, also abzulehnen.