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Das Ende des Rechtsstaates aufgrund der digitalen Überwachung durch die Geheimdienste – Vortrag bei der Assistententagung

Der „arabische Frühling“ entfachte einen Sturm in der arabischen Welt: Diktatoren wurden durch die Bürger gestürzt. Maßgeblich für den Erfolg dieser Revolutionen waren das Internet und soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, durch die sich Nachrichten oder Termine der Demonstrationen in großer Geschwindigkeit verbreiteten und die auch zu publizistischen Organen wurden. Auch außerhalb von Revolutionen erreichen soziale Netzwerke eine große Öffentlichkeit und verbreiten Informationen, die die autokratischen Herrscher gerne unter Verschluss halten würden: so sieht sich zum Beispiel der türkische Präsident Erdogan Korruptionsvorwürfen in über YouTube veröffentlichte Videos ausgesetzt. Eine solche Öffentlichkeit versuchen die Herrschenden in vielen Ländern zu verhindern, bspw. durch Sperrung oder Zensur von YouTube, Registrierungspflichten für Blogger oder Sperrung von Instagram, wie sie in China nach Protesten in Hongkong erfolgte. In Europa und den USA jedoch werden solche gravierenden Maßnahmen aufgrund der in den Verfassungen und auch in der EMRK verankerten Meinungs- und Demonstrationsfreiheit nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Folge davon ist, dass im Internet Diskussionen und Meinungsäußerungen größtenteils nicht überwacht werden. Dies dient vermeintlich der Sicherstellung der Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.

Der Glaube an diese Praxis wird nun durch die Tätigkeiten der Geheimdienste westlicher Staaten (NSA, BND) erschüttert. Diese agieren nach dem Motto „Man braucht den Heuhaufen, um darin die Nadel zu finden“ (Keith Alexander) und greifen große Teile des weltweiten Internet-Verkehrs ab. So wird die Kommunikation von Regierungschefs ebenso wie die von einfachen Bürgern abgehört, Bewegungs- und Metadaten gespeichert, soziale Netzwerke gescannt und E-Mails durchsucht. Dabei nutzen die Geheimdienste die Kommunikation der Bürger untereinander mittels Privatunternehmen wie soziale Netzwerke oder E-Mail-Provider. Dadurch wird privater Verkehr zur staatlichen Datenerhebung genutzt, der Einzelne wird so „zu einem bloßen Anbieter von Daten“ (Shoshana Zuboff). Im Gegensatz zu autoritären Ländern, in denen versucht wird, den Datenverkehr einzudämmen, machen sich westliche Geheimdienste gerade den freien Datenverkehr zu Nutze und erheben aus diesem willkürlich Daten. Dies fasst Zuboff in dem dritten ihrer sog. Zuboff’s Laws zusammen: „Every digital application that can be used for surveillance and control will be used for surveillance and control”. Die Regierungen bleiben untätig gegen diese Tätigkeiten und verletzen so die sich aus den Grundrechten ergebende Pflicht, ihre Bürger proaktiv zu schützen.

Diesen gravierenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht stehen insbesondere zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts entgegen: Zum Einen das bereits 1983 ergangene sog. Volkszählungsurteil, in dem das allgemeine Persönlichkeitsrecht und, basierend auf Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG, der Abwehranspruch des Bürgers gegen Ausforschung durch den Staat begründet wurde. Zum Anderen das Urteil des BVerfG zum sog. „Staatstrojaner“, in dem das Grundrecht auf Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme begründet wurde. In diesem wurde festgestellt, dass der Bürger einerseits darauf vertrauen kann, dass die eigenen IT-Systeme nicht durch Dritte genutzt werden und dass andererseits Schutz vor staatlichem Einblick in die wesentliche Lebensgestaltung besteht. Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass auf Rechnern und Smartphones inzwischen häufig das gesamte Privatleben einer Person zu finden ist und daher ein besonderer Schutz notwendig ist.

Das Datenschutzrecht, das im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) niedergelegt ist, erlangt beim Schutz gegen staatliche Ausforschung eine besondere Bedeutung. Dieses regelt die Erhebung von Daten durch staatliche sowie private Stellen. Da diese Abgrenzung bei der Ausspähung durch Geheimdienste verschwimmt, kommt also auch dem Datenschutz durch private Stellen eine besondere Bedeutung zu. Zwar geht das BDSG von dem sog. Verbotsprinzip aus, also dem Verbot von Datenverarbeitung, soweit nicht eine Rechtfertigung vorliegt (§ 4 BDSG), allerdings gelangt dies kaum zu praktischer Bedeutung. Relevant werden nunmehr Prinzipien, die bislang kaum praktische Bedeutung hatten: Bei Umsetzung des Prinzips der Datenvermeidung und Datensparsamkeit (§ 3a BDSG) durch private Stellen können weniger Daten abgegriffen werden. Weiter sind von Bedeutung: Entnetzung, also die Trennung verschiedener Systeme, und die Information des Betroffenen. Zuletzt erlangt das Recht der Datensicherheit eine besondere Bedeutung. Dieses wird relativ knapp in § 9 BDSG geregelt und gibt die zu ergreifenden technischen und organisatorischen Sicherungsmaßnahmen vor. Auch das von der Bundesregierung geplante IT-Sicherheitsgesetz kann zum Schutze der Betroffenen dienen.

Während in Georg Orwells Roman „1984“ die Erhebung von Daten der allgemeinen Abschreckung und Entdeckung von verbotenen Handlungen diente, erhält das übermäßige Sammeln von Daten unter dem Stichwort „Big Data“ eine neue Bedeutung. Über das Ansammeln einer Vielzahl von Daten sollen Handlungen bereits erkannt werden, bevor sie geschehen. So sendet nicht nur Amazon bereits Pakete aus, bevor der Kunde diese bestellt hat. Staatliche Sicherheitsbehörden wollen Straftaten bereits erkennen, bevor sie begangen werden, einfache Diebstähle ebenso wie terroristische Anschläge. Solche Techniken funktionieren umso besser, je mehr Daten vorhanden sind. Folge ist mithin ein Interesse der Geheimdienste an möglichst umfangreicher Erstellung von Profilen aller Bürger.

Aufgabe des Staates wäre es, solche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Bürger zu verhindern. Stattdessen überwachen die Geheimdienste auch Untersuchungsausschüsse, die die Handlungen dieser Geheimdienste untersuchen sollen, entziehen sich also dadurch einer parlamentarischen Kontrolle. Bürger, die sich mittels Verschlüsselung schützen wollen, werden als „Extremists“ geführt. Begründet wird dies mit der pauschalen Behauptung, der Schutz der „Sicherheit“ rechtfertige die (rechtswidrige) Einschränkung der Grundrechte. Diese Argumentation ist aus autokratischen Staaten bekannt und greift den Rechtsstaat in seinem Kern an. Dabei erscheint es als paradox, die Verfassung gerade durch verfassungswidriges Handeln schützen zu wollen. Die Spähaffäre der Geheimdienste wirft die entscheidende Frage auf, ob der mühsam errungen Rechtsstaat zurück in einen Unrechtsstaat fällt.

RA Matthias Lachenmann wird dazu heute einen Vortrag auf der Assistentagung öffentliches Recht 2015 in Augsburg halten. Diese hat auch eine Online-Diskussion und kann heute Mittag dort online mitdiskutieren.

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